Impressionen aus dem Bus.

27 09 2011

Heute im Bus saßen mir gegenüber zwei 7. oder 8. Klässler und haben über die ‚Opfer‘ aus ihrer Klasse geredet…
‚Ey. Letzte Woche sollte wir in Deutsch Personen beschreiben und der Paul sollte seine Traumfrau beschreiben. Der Lehrer so; Paul, wie sieht deine Traumfrau aus? Und ich dann, Ach, Herr Soundso, der kriegt doch eh keine ab! Und der Lehrer lacht sich voll ab und meint nur; könnte passieren. Und nachmittags schreibt der Paul mich an und meint nur; Du hasst mich, oder? Ja, klar hasse ich den, der ist so ein Opfer… Den kann man ja nur hassen. Ich mein ich bin erst drei Wochen in der Klasse, aber sogar ich hab mehr Freunde als der! Der würde voll gut zu der Anna passen, die ist ja auch so ein Opfer!‘

Zwanzig Minuten dauert die Busfahrt. Zwanzig Minuten waren die ‚Opfer‘, wie diese beiden Kinder sie so nett betitelten Thema.
Zwanzig Minuten habe ich damit gerungen, etwas zu sagen.
Was ihr dort oben lest ist noch relativ harmlos im Vergleich zu dem, was noch fiel über Anna und Paul, die eigentlich ganz anders heißen, die ich aber nicht kenne…
Bin ich als einzige so empfindlich?!





Gefallenes Mädchen.

22 09 2011

Ich möchte euch meinen Unmut kundtun. Ich möchte etwas jammern. Am liebsten würde ich auch ein wenig weinen.
Wisst ihr, nach Jahren, die ich nach diesen Stiefeln suche, die schönen, leicht eleganten Westernstiefel, die ich schon als kleines Mädchen immer haben wollte, – eigentlich in braun, die es dann aber nur noch in schwarz gab, das war egal, ich hab sie gekauft und vergöttert.
Vor drei Wochen habe ich sie gekauft (bekommen. Papa ließ sich gut um den Finger wickeln…) und bin aus dem Laden geschwebt. Habe sie im Haus angehabt und bewundert. Gepflegt und hach. Überhaupt. Ihr wisst schon. Man wollte etwas schon sooo lange haben und dann hat man es.
Ich hab sie getragen, ein zwei mal. Und es war eigentlich noch zu warm dafür… Egal, getragen, mit Stil und Anstand und mit Liebe zu diesen Stiefeln.
Ich habe absolut keinen Schuhtick. Ich besitze kaum Schuhe. Aber diese Stiefel… hach.
Jedenfalls. Sie waren toll. Waren.

Es ist Montag, ich stehe auf. Neben mir liegt mein lieber Mensch. Warm, duftend und kuschelig. Und er hat Urlaub, darf ausschlafen. Ich fluche innerlich, stehe aber schließlich leise auf, Frühstücke, bin im Bad, ziehe mich im Zimmer im dunklen an. Ein schönes, schwarzes Kleid, was ich schon ewig habe, aus einem Mangel an Schuhen dazu allerdings nur sehr selten trug. Eine neue Strumpfhose, Wolle, schwarz, aber nicht zu dick. Ich brassel im Flur in meinen Haaren rum, bin zufrieden. Wimperntusche, ein winzig-bisschen Kajal, – ich steh ja nicht so auf Farbe im Gesicht. Tasche über die Schulter, Jacke und Schal, es ist morgens noch frisch. Und auf in die Schuhe. Klack, Musik in die Ohren, leise. Ich höre die Welt und Death Cab for Cutie sind der Soundtrack, – im dezenten Hintergrund des Lebens.
Der Bus kommt, ich bin pünktlich dran. Packe im Bus mein Häkelzeug aus. Höre um mich herum gemurmel, spüre merkwürdige Blicke. Muss man grauhaarig und alt sein um Haus- und Handarbeiten zu mögen und sich damit in der Öffentlichkeit zu beschäftigen? Es wird voller und voller und lauter, viel zu laut im Bus. Ich häkele. Kinder schreien, schubsen, stolpern, catchen sich. Alternde Menschen schimpfen, der Busfahrer hat offenbar keinen Führerschein. Es ist Montag morgen, ich muss zur Schule. Die Luft im Bus ist stickig.

Endlich. Der Bus hält. Nicht ganz am Bordstein zur Haltestelle. Fahrstil. Massen strömen aus dem Bus heraus.
Ich muss es schaffen, auszusteigen, ohne hinausgespült zu werden und vor allem bevor andere wieder hineinströmen. Ich hasse den Bus.
Ich stehe auf. Packe mein Häkelzeug ein. In meiner linken Hand mein Handy, meine rechte Hand fummelt am Reißverschluss meiner Tasche um sie zu verschließen.
Mein Fuß ist dabei die Schwelle zwischen Bus und Bürgersteig zu übertreten.
Von hinten. Ein Ruck, ein Schubser, ein wumm. Mein Fuß landet in der Lücke zwischen Bus und Bürgersteig. Noch ist mir nichts passiert.
Jemand schimpft, jemand motzt. Bin ich etwa schuld? Bin ich zu langsam?
Bums. Ein Schubser trifft mich. Ich fliege, ich rutsche, raaaatsch. Mein Handy fliegt. Ich sehe es.

Meine Nase stoppt ein paar Zentimeter über dem Asphalt. Ich atme. Gehe im Kopf meinen Körper ab. Suche nach Schmerz.
In mir zischt es. Schmerz. In der Hand. Jemand steht auf meiner Hand.
Bevor ich darüber nachdenken kann nicht mehr.
Ich drehe meinen Kopf zur Seite. Suche jemanden, der mir hilft. Jemanden, den ich kenne. Finde niemanden. Noch zwei Sekunden. Der Bus hinter mir ruckt an und fährt. Alle anderen sind weg. Ich liege alleine auf dem Boden. Langsam brennen meine Knie. Meine Hände. Mein linkes Handgelenk tut weh. Meine Hand auch.

Ich sammele mein Handy ein. Schaue auf den Display. Es ist neu, ich bin pingelig. Sehe, lediglich die Hülle ist beschädigt, das ist erträglich. Ich stehe auf. Meine Kniee gehen in Flammen auf. Eine Träne löst sich aus meinem Auge, löst einen Wasserfall aus. Every Teardrop is a waterfall.

Ich schaue auf meine Knie. Die Strumpfhose links ist dahin. Rechts sieht alles gut aus, aber das Knie brennt. Meine Hände sind okay, sie bluten nicht, sind nur aufgeschürft.
Ich drehe mich herum, reiße mich zusammen. Auf dem Weg in Richtung Schule begegnen mir Menschen, die ich kenne. Ich meide die Blicke. Fühle mich wieder wie damals. Weine. Heiße Tränen. Es tut nicht so weh, körperlich. Aber seelisch. Alles ist wie damals. Ich höre predigten meiner Mutter, versuche sie zu ignorieren. ‚Weinen macht dich so verletzlich, zeig ihnen doch nicht, wie sie ins schwarze treffen.‘ Ich zeige es. Verborgen.

Der Vetretungsplan interessiert mich noch weniger als eigentlich sympathische Mitschüler. Ich gehe in Richtung Sekretariat. Werde zu erst übersehen. Bekomme erst nach einiger Überzeugungszeit zwei Pflaster zum selber aufkleben. Mein linkes Knie blutet nur leicht, mein rechtes fühlt sich sehr nass an.
Ich gehe in Richtung Mädchentoilette. Habe Angst, noch dürfte ich nicht im Gebäude sein. Schließe mich ein. Schluchze auf. Ich ziehe meine Strumphose aus und weine. Sie war neu. Meine Kniee bluten und brennen und die Haut spannt. Fühle mich wie damals. Ich schneide die Pflaster zurecht. Wie ich es im Erste Hilfe Kurs beibringe. Klebe eines in die Wunde, – wie konnte mir das passieren?
Ziehe die Strumpfhose wieder an, wische mir die Wimpertusche aus dem Gesicht.
Schaue an mir herunter und sehe meine Stiefel. Eingebeult. Auf geschürft. Das Leder abgewetzt. Kaputt. Ramponiert, versaut. Wie meine Strumpfhose, meine Kniee.

Ich kann mich im ersten Kurs des Tages nicht davon abhalten zu weinen. Heiße, große Tränen rollen meine Wange herunter. Ich werde angeschaut. Leute sagen, meine Stiefel sein nicht so tragisch, wichtig sei doch ich. Aber auch meine Knie sind kaputt. Ich will meine Mama. Mein lieber Mensch wäre auch noch okay. Aber nicht diese Menschen hier. Nicht die Freundin die von ihrem Date und einer Nachricht ihres Exes erzählt. Ich will weinen und gekost werden. Ich fühle mich wie damals.
Es ist nicht mein Tag.

Als ich nach Hause komme, ziehe ich die Stiefel und die Strumpfhose aus. Versorge meine Wunden mit Creme, klebe rechts ein neues Pflaster, es blutet noch, links braucht das Knie Luft, glaube ich.
Ich erzähle meiner Familie von dem Vorfall, erzähle es meinem lieben Menschen. Sie lachen und fragen, ‚Warum hast du dich nicht gewehrt? Ellenbogen raus Frl. Schnecke!‘ Diese Worte kenne ich bloß zu gut. Vor allem lachen sie.
Ich ziehe eine Jeans an. Sie kratzt am Knie. Ist okay, denke ich. Ich verbringe meinen Tag.

Ich komme am Abend nach Hause und ziehe mich aus um in den Schlafanzug zu schlüpfen und endlich den Tag zu beenden. An meinem Schienbein laufen Linien getrocknetem Blutes herunter. Die Jeans reißt die Wunde immer wieder auf.

Eine Einladung zum Schwimmen lehne ich ab. Ich hasse es, Pflaster zu wechseln, weil ich Pflaster hasse, tue es jedoch trotzem, aus Ekel. Ich werde am Schulsport teilnehmen und leiden. Sie brennen, meine Kniee, nach Tagen noch. Sie brennt, meine Seele, nach Jahren noch. Es tut weh. Gefallenes Mädchen. Kniee, Stiefel, Strumpfhose.
Ich trage Stilleinlagen auf die Knieen, das schützt sie vor der Reibung der Hose. Ich bringe meine Stiefel zum Schuster. (Sie werden nicht mehr die Gleichen sein.) Ich kaufe eine neue Strumpfhose, schon wieder.
Ich kann meine Seele nicht polstern vor der Reibung, mit der die Welt sie aufreissen kann. Ich kann sie nicht ausbeulen lassen, bei keinem Schuster dieser Welt. (Ob sie wohl so zäh ist, wie Leder? Und ob sie zu vernarbt ist um als Leder zu gelten?) Und ich kann mir keine neue kaufen, die jene mit dem Loch darin ersetzt.





Und weg war ich.

18 09 2011

Ja, es ist einige Zeit her, dass ihr von mir gehört habt… das hat verschiedene Gründe… zum einen waren Ferien, ich war im Urlaub und viel unterwegs. Und dann plötzlich war auch schon wieder Schule…
Und schwups gibt es schon wieder jede Menge zu tun, meine Freundinnen und meinen lieben Menschen nicht zu viel allein zu lassen, viele gute Ideen, die ich immer noch nicht umgesetzt habe und einen Raum, in dem ich wohne (beziehungsweise alternativ: hause) und der dringend mal wieder aufgeräumt werden sollte…
Es gab Geburtstage in der Familie und in meinem Freundeskreis, es gab eine Stufenparty, es gab Dinge zum lachen und Dinge zum weinen.
Es gibt einen recht großen Knilch in meiner HiOrg und ich bin nicht immer gut auf sie zu sprechen…
Kurzum, – es gibt ein Leben, das nach mir ruft und an mir zieht.
Und wisst ihr, was ich merkwürdig finde? Es fühlt sich so an, als wäre das zum ersten Mal so, seitdem ich blogge.
Langezeit war mein Blog, Twitter, (und echt peinlicherweise auf Facebook) mein Leben. Der Rest, Familie, Freunde und überhaupt fast alles, kam danach… Ich denke, das war nie der richtige Weg… und ich habe durchaus das Gefühl, nun auf einem besseren Weg zu sein. Mir geht es gut und ich werde bestimmt nicht aufhören zu bloggen, zumindest nicht ganz, es fehlt mir ja dann doch 😉
Und hey, es ist mein letztes Jahr in diesem Lebensabschnitt und ich habe noch keine Ahnung, wie genau es danach weiter gehen wird… uhu, wenn das nicht spannend wird… Also, – wahrscheinlich mehr für mich, als für euch.
Jedenfalls. Geschreibsel. Ich lebe noch, – ihr auch?
Ganz liebe Grüße… 😉
Euer Frl. Schnecke 🙂